Beobachtung aus horizontaler Blickrichtung

Im Zusammenhang mit der Erfassung von Trajektorien wurde bereits eine ungewöhnliche Kamerasicht auf Diatomeen genannt, bei welcher die Blickrichtung mit leichtem Winkel geneigt auf die Ebene des Substrats gerichtet ist. Hierbei kann man Aspekte erkennen, bei denen die Kontaktfläche zwischen Diatomee und Substrat wesentlich ist. Bereits diskutiert wurde ein Zusammenhang zwischen Kontaktfläche und Trajektorie.

Nach der Erläuterung der Aufnahmetechnik soll in nachfolgenden Beiträgen auf die Beobachtung bei bestimmten Gattungen und Arten eingegangen werden. Diese Methode wird auch noch an anderer Stelle dieser Homepage verwendet, wie bei dem Beitrag zur Krümmung der Trajektorien von Surirella biseriata.

 

Vertikale Perspektive

Bei der Beobachtung lebender Diatomeen im Lichtmikroskop sieht man diese mit senkrechtem Blick auf das Substrat, also in vertikaler Perspektive. Entweder blickt man bei einem aufrechten Mikroskop von oben auf den Objektträger (Vogelperspektive) oder mit dem inversen Mikroskop von unten in das Kulturgefäß.

 

Horizontale Perspektive

Blickt man aus der Perspektive eines fiktiven winzigen Beobachters, der auf dem Substrat steht, auf die Diatomeen, so sieht man diese in horizontaler Perspektive. Das Wort „Seitenansicht“ beschreibt die Situation nicht ganz korrekt, denn die Diatomeen können verschiedene Lagen zum Substrat einnehmen. Es ist zweckmäßig, mit einem leichten Winkel auf das Substrat zu blicken, denn dann kann man das Spiegelbild der Diatomee erkennen. Das hilft bei Messungen, denn meist ist die Horizontlinie nicht scharf erkennbar.

 

Nutzen der horizontalen Perspektive

Wahrscheinlich ist der wichtigste Aspekt, dass der Kontakt mit dem Substrat erkennbar wird.

Möchte man die Neigung der Apikalachse zur Ebene des Substrats messen, könnte man die Fokuseinstellung des Mikroskops bei hoher Vergrößerung nutzen, um aus vertikaler Blickrichtung den Abstand zwischen den Apizes zu bestimmen. Alternativ dazu lässt sich die perspektivische Verkürzung des Abstands der Apizes messen. Die erste Möglichkeit eignet sich nicht für Videoaufnahmen, die zweite ist bei geringen Neigungen sehr ungenau, da die Verkürzung proportional zum Cosinus des Neigungswinkels ist. Aus horizontaler Perspektive hingegen ist die Neigung der Apikalachse sofort erkennbar.

 

Aufbau

Einrichtung zur horizontalen BeobachtungBei einer besonders einfachen Methode zur Aufnahme mit horizontaler Perspektive wird ein Deckglas nahezu senkrecht in eine mit Wasser gefüllte Petrischale gestellt. Ein Drahtbügel wird am Deckglas befestigt und dient als Standbein. Eine Skizze ist links zu sehen. Bringt man ausreichend Diatomeen in die Petrischale, so werden nach einiger Zeit Diatomeen auf das Deckglas gewandert sein. Notfalls legt man das Deckglas zunächst flach auf den Boden der Petrischale und kippt sie dann vorsichtig in die Vertikale.

Eine günstigere Anordnung für solche Beobachtungen wäre ein inverses Mikroskop, das um etwa 90° gekippt wird, so dass der Strahlengang durch die Probe nahezu horizontal erfolgt. Die Beobachtung findet in einer Küvette statt, in der oberhalb des Bodens ein durchsichtiges, sehr dünnes Substrat (Folie) horizontal angebracht ist, damit der Beleuchtungsstrahlengang nur geringfügig beeinflusst wird. Die Diatomeen können dann einfach auf dem Substrat abgesetzt und beobachtet werden. Bisher habe ich den Aufwand zum Bau dieser Anordnung gescheut.

 

Schwierigkeiten

Es ist nicht verwunderlich, dass die horizontale Perspektive in der Lichtmikroskopie nicht verbreitet ist, denn man hat mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen:

  • Der Abstand zwischen dem Boden der Petrischale und der Diatomee kann sehr groß sein. Wird er zu groß, kann man die Diatomee nicht mehr fokussieren. Auch schon vor Erreichen des maximalen Arbeitsabstandes befindet sich eine Wasserschicht zwischen dem Boden der Petrischale und den Diatomeen, für die stärker vergrößernde Objektive nicht korrigiert sind.
  • Der Abstand der Diatomeen vom Substrat kann sich im Laufe einer Beobachtung stark ändern. Dies erfordert ein häufiges Fokussieren.
  • Der Beleuchtungsstrahlengang wird durch das schräg stehende Deckglas gestört.

 

Ein Beispiel

Als Beispiel werden Diatomeen der Spezies Cymatopleura solea (Länge ca. 80 µm) betrachtet.

Das Video (60-facher Zeitraffer) links zeigt in verschiedenen Vergrößerungsstufen eine Kultur unter dem inversen Mikroskop. Die optische Achse steht senkrecht zum Substrat. Man erkennt, dass die Diatomeen teils mit der Valve, teils mit dem Gürtelband aufliegen. Zwischen den Lagen gibt es Wechsel, spontan oder ausgelöst durch Kollisionen.

Eine Videoaufnahme (5-facher Zeitraffer) aus horizontaler Perspektive in Bezug auf das Substrat ist nachfolgend links zu sehen. Das Frameformat wurde durch Entfernen des oberen und unteren Bildrands geändert. Die inhomogene Beleuchtung stört deshalb den Bildeindruck nicht. Das Video zeigt eine Diatomee, die sich nahezu senkrecht zum Betrachter bewegt und dabei zweimal ihre Lage zum Substrat ändert. Weil die optische Achse nahezu senkrecht auf die Apikalachse gerichtet ist und die Diatomee bei diesem Anblick eine geringe Tiefe besitzt, gelang die Aufnahme mit einem 10x-Objektiv. Die Fokussierung musste nur geringfügig angepasst werden, etwa nachdem die Diatomee um ihre Apikalachse gekippt ist. Die Diatomee bewegte sich in geringer Entfernung zum Boden der Petrischale.

Aufschlussreich sind Bilder aus dieser Perspektive, welche die Cymatopleura solea mit Blick parallel zur Apikalachse, also senkrecht auf die Transapikalebene zeigen. Das dritte Video links (20-facher Zeitraffer) zeigt eine Diatomee aus dieser Blickrichtung (Vollbildmodus wird empfohlen). Darin erkennt man, dass die Diatomee nicht plan auf ihrer Valve aufliegt, sondern deutlich um die Apikalachse gekippt ist. Daher kann auch nur auf einer Seite der Apikalachse die Raphe in Kontakt mit dem Substrat stehen. Diese Neigung könnte eine Folge der konvexen Form der Valve sein. Einen einfachen Zusammenhang zwischen Krümmungsrichtung der Trajektorie und der Neigung scheint es bei Cymatopleura solea nicht zu geben.

 

Beobachtung auf natürlichem Substrat

Die beschriebene Methode zeigt die Bewegung von Diatomeen an einer nahezu vertikalen glatten Glasoberfläche. Beobachtungen in natürlicher Umgebung gelingen eher zufällig.

Im Video links ist in 4-fachem Zeitraffer eine Probe aus einem Teich mit einer Faser zu sehen, auf der sich eine Diatomee bewegt. Der Kontakt zwischen Diatomee und Faser ist erkennbar. Mit solchen Aufnahmen von natürlichen Proben kann man leider ohne Zuordnung zur Art wenig anfangen. Zudem herrschen nur über kurze Zeit die gewünschten Beobachtungs-bedingungen. Insbesondere ändert sich häufig die Richtung, aus der man die Diatomee betrachtet. Andere Objekte können die Sicht auf das Beobachtungsobjekt verdecken.