Biofilm von Craticula cuspidata (30-facher Zeitraffer) |
Pinnularia viridiformis innerhalb des Biofilms und auf seiner Oberfläche (25-facher Zeitraffer) |
Bewegung von Diatomeen in und auf Biofilmen
Nach den Erklärungen für die aktive Bewegung pennater Diatomeen erwartet man, dass ein direkter oder indirekter Kontakt zwischen Raphe und einem Substrat erforderlich ist. Die Anforderungen an die Härte des Substrats sind oftmals nicht hoch, denn eine Bewegung auf Agar ist möglich (Iwasa, K., Shimizu, A., 1972).
Motile pennate Diatomeen, die Biofilme bilden, wie viele Diatomeen der Gattungen Pinnularia, Rhopalodia oder Craticula, können sich gut in ihrem Biofilm bewegen. Ein Biofilm, der sich vom Substrat abgelöst hat, ist auf der Seite zur Nährlösung abgebildet. Im Video oben links ist ein solcher abgelöster Biofilm von Craticula cuspidata (Länge ca. 120 µm) unter dem Stereomikroskop im Dunkelfeld zu sehen. Man erkennt eine starke Bewegung der Diatomeen in dem transparenten Biofilm.
Biofilm in Kulturen von Pinnularia viridiformis
Diatomeen der Gattung Pinnularia scheiden bei Aktivität der Raphen extrazelluläre polymere Substanzen (EPS) aus, die in Kulturen mit der Zeit eine weiche Ablagerung über dem Boden der Petrischale bilden können (Übersicht zu EPS bei Diatomeen in Aumeier, C. and D. Menzel, 2012). Links ist eine sehr kleine Pinnularia (Länge ca. 87 µm) zu sehen, die sehr schnell einen dicken Biofilm aufbaut (zum Vergrößern anklicken). Es handelt sich um eine Pinnularia viridiformis Morphotype 3 sensu Krammer 2000.
Das Video oben rechts zeigt zunächst drei Pinnularia dieser Spezies, die sich am Boden einer Petrischale befinden. Darüber ist eine Schicht aus EPS gelagert, auf der sich die meisten Diatomeen aufhalten. Auf diese wird anschließend fokussiert. In beiden Ebenen ist Bewegung zu beobachten, wobei auf dem Biofilm vor allem Bewegung in Bahnen und darunter überwiegend Schwenkbewegungen auftreten. Am Boden des Biofilms stellen sich die Pinnularia viridiformis oft vertikal auf, was sie in reiner Nährlösung nicht tun.
Unter dem Stereomikroskop findet man leicht Diatomeen, die sich zwischen dem Boden der Petrischale und der Oberfläche des Films befinden. Die im Vergleich zur Besiedlung der Oberfläche selten auftretenden Diatomeen zwischen dem Boden der Petrischale und der Oberfläche des Films führen häufig Rotationen um wechselnde Achsen aus. Das Video links zeigt Pinnularia viridiformis innerhalb des Biofilms. Der Zeitrafferfaktor ist 12-mal so groß wie der im Video rechts oben. Im Hintergrund erkennt man unscharf die sich schneller bewegenden Diatomeen auf der Oberseite des Biofilms.
Ich gehe davon aus, dass ein Wechsel der Diatomeen vom Boden zur Oberfläche des Films möglich ist. In der umgekehrten Richtung ist ein solcher Wechsel vermutlich selten oder unmöglich. Dies wird durch die weitaus größere Anzahl von Diatomeen auf dem Biofilm nahegelegt.
Eigenschaften des Biofilms
Die Schicht aus EPS zeigt Viskoelastizität, ist also weder rein viskos noch rein elastisch. Der viskose Anteil des Gels erlaubt die Bewegung der Diatomeen am Boden der Petrischale und innerhalb des Biofilms. Durch die Elastizität können sich die Diatomeen auf der Oberfläche aufhalten, ohne zum Boden der Petrischale zu sinken.
Da der Biofilm farblos und transparent ist, kann man seine Oberfläche nicht unter dem Mikroskop erkennen. Bringt man von oben kleine Partikel ein, so bleiben diese auf dem Gel liegen und markieren die Oberfläche des Biofilms zum Wasser.
In der hier beobachteten Kultur (Petrischale mit Durchmesser von 5,5 cm) betrug die Dicke des Biofilms zwischen etwa 150 µm und 380 µm. Zum Vergleich sei erwähnt, dass die Länge dieser Pinnularia bei 90 µm liegt. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen war die Kultur 30 Tage alt. Lokal ist die Schicht flach genug, um die Diatomeen im Blickfeld gleichzeitig zu fokussieren.
Nutzung des Biofilms zur Untersuchung der Aktivität der Raphen bei Pinnularia
Die elastischen Eigenschaften in Verbindung mit der Möglichkeit der Markierung der Grenzschicht zwischen der Gelschicht und dem Wasser, lassen sich zur Beobachtung der Aktivität der Raphen nutzen. Der Elastizitätsmodul erweist sich nämlich als so klein, dass bei der Bewegung der Diatomeen leicht beobachtbare elastische Verformungen auftreten. Im Experiment wurden mineralische Partikel mit einer Längenausdehnung von typisch unter 3 µm auf der Gelschicht verteilt. Im Video links (30-facher Zeitraffer) erkennt man, wie die Oberfläche der Gelschicht durch die Bewegung der Pinnularia viridiformis elastisch verformt wird. Dabei fällt auf, dass es zum langsamen Aufbau von Spannungen und schnellen, ruckartigen Abbau der Spannungen kommt. Die Ursache hierfür wird verständlich, wenn man den Ablauf an einer Stelle mit geringerer Populationsdichte betrachtet. Bei gleichmäßiger Bewegung der Diatomeen treten keine auffälligen Deformationen auf. Häufig stoppt aber die Bewegung der Diatomeen, ohne dass die Raphen ihre Aktivität einstellen. Durch die durchsichtigen Valven erkennt man, dass nun beide Raphen gegensinnig in Richtung ihrer proximalen Enden arbeiten. Das Gel in der Umgebung der Diatomeen wird dabei auf Grund der Adhäsion der Raphen an das Substrat elastisch verformt. Es wird an den proximalen Enden und in der Umgebung der Diatomee in Richtung auf die Transapikalachse gestaucht (negative Dehnung). Ein kurzes Video eines solchen Vorgangs zusammen mit einer Überlagerung der Einzelbilder während des Stillstands der Diatomee ist nachfolgend zu sehen (zum Vergrößern anklicken):
Die Verformung wirkt sich sichtbar im Abstand von mehreren Diatomeen-Längen aus.
Nach einiger Zeit arbeiten die Raphen nicht mehr gegensinnig und die Bewegung wird in gleicher oder entgegengesetzter Richtung fortgesetzt. Dabei kehrt die EPS-Schicht in ihre Gleichgewichtslage zurück. Das Gel entspannt sich in kurzer Zeit, was sich an der Bewegung der Geloberfläche auch in einiger Entfernung von der Diatomee bemerkbar macht.
Pinnularia viridiformis liegen auf einem ebenen festen Substrat flächig auf den Valven, wie man aus der Silhouette der Valven in Gürtelbandlage erkennen kann. Es ist davon auszugehen, dass gegeneinander arbeitende Raphensysteme auch hier zum Stillstand der Bewegung führen.
Bei dieser Art des Stillstands der Bewegung verbrauchen die Diatomeen Energie. Es wäre interessant zu wissen, ob dieser Energieverbrauch nützlich ist, oder ob nur ein Mangel in der Koordination der Raphen vorliegt. Diese Frage stellt sich auch aus einem anderen Grund. Es ist bei Diatomeen der Gattung Pinnularia wie auch bei vielen anderen Diatomeen leicht nachzuweisen, dass häufig Raphen aktiv sind, die nicht an das Substrat gekoppelt sind und damit nicht zur Bewegung beitragen.
Eine zu den distalen Enden der Raphe gerichtete gleichzeitige Aktivität ist in diesem und einigen anderen Videos nicht zu beobachten. Sie würde zu einer elastischen Dehnung des Gels führen. Mit dieser Beobachtungstechnik kann nicht festgestellt werden, ob bei gleichförmiger Bewegung der Diatomee beide Raphensysteme beteiligt sind.
Offenbar können bei der gegeneinander gerichteten Aktivität der Raphen auch Partikel verschoben werden. Im oberen Video links zeigen die anfangs gleichmäßig verstreuten Partikel bereits auffällige Häufungen.
Das Verfahren bietet prinzipiell die Möglichkeit, die Kräfte, die auf das Substrat von der Raphe ausgeübt werden, quantitativ zu bestimmen. Dazu müssten der Elastizitätsmodul und die Verschiebung der Partikel bestimmt werden.
Es liegt nahe, dieses Verfahren auch zur Untersuchung der Aktivität der Raphen bei Spezies anzuwenden, die keinen derartigen Biofilm erzeugen. Dazu könnte man ein Gel (Agar oder Gelatine) mit Nährlösung überschichten und mit Partikeln die Oberseite der Gelschicht markieren. Die Schwierigkeit dürfte in der Erzeugung einer elastischen Schicht mit sehr kleinem Elastizitätsmodul liegen. Falls das nicht gelingt, könnte man Diatomeen auf den von Pinnularia erzeugten Biofilm setzen.
Aumeier, C. and D. Menzel, Secretion in the Diatoms, in Secretions and Exudates in Biological Systems, J.M. Vivanco and F. Baluška, Editors. 2012, Springer Berlin Heidelberg. p. 221-250.
Iwasa, K., Shimizu, A., 1972. Motility of the diatom, Phaeodactylum tricornutum. Exp. Cell Res. 74, 552–558.