Bahn von Diatomeen der Spezies Cymbella cistula

(30-facher Zeitraffer)

Visualisierung der Bewegung durch Bildung des Maximums über alle Frames und Entfernen des Hintergrunds (zum Vergrößern anklicken)

 

Krümmung der Trajektorien am Beispiel Cymbella

Diatomeen der Gattung Cymbella zeigen Symmetrie bezüglich der Transapikalebene, wie sie auf der vorhergehenden Seite vorausgesetzt wurde. Eine Symmetrie der Valven bezüglich der Apikalebene ist in der Regel nicht gegeben. Man kann eine stärker gekrümmte dorsale und eine schwächer gekrümmte ventrale Seite unterscheiden. Der Blick auf die Valvarebene ist im Bild links skizziert. Die beiden Valven liegen übrigens nicht parallel. Die typische Cymbella ist an der dorsalen Seite dicker als an der ventralen (dorsiventral).

Die meisten Cymbella sp. besitzen eine deutliche Krümmung der Raphe mit Krümmungsmittelpunkten auf der ventralen Seite, wie dies in der Skizze dargestellt ist. Man erwartet daher eine gekrümmte Bewegungsbahn, bei der ebenfalls die Krümmungsmittelpunkte auf der ventralen Seite liegen. Dies ist tatsächlich auch sehr häufig der Fall. Ein Video einer kultivierten Art (Länge ca. 190 µm) ist links zu sehen (30-facher Zeitraffer). Auch das Video auf der Seite zur Einführung in die Bewegung und die zugehörige Visualisierung lassen diese Krümmungsrichtung der Bahn erkennen.

Liegt der Krümmungsmittelpunkt der Bahn stets auf der ventralen Seite, dann ist die alternierende Abfolge von Bewegungen im Uhrzeigersinn und Gegenuhrzeigersinn per se gegeben. Denn würde die Bahn an den Umkehrpunkten nicht die Krümmungsrichtung ändern, müsste der Krümmungsmittelpunkt auf die dorsale Seite wechseln. Der einzige Unterschied zu Diatomeen wie Navicula ist, dass man die Krümmungsrichtung der Raphe bereits am Umriss der Valve erkennt.

Dies wäre nicht bemerkenswert, wenn man nicht auch auf ein völlig anderes Bewegungsverhalten stoßen würde. Das Video oben links zeigt Diatomeen der Art Cymbella cistula (in anderen Beiträgen werden Informationen zur Größe, geschlechtlichen Fortpflanzung und Bildung von Kolonien gegeben), bei welchen der Krümmungsmittelpunkt sowohl auf der ventralen als auch auf der dorsalen Seite liegen kann. Sie behält an Umkehrpunkten oft (aber nicht immer) das Vorzeichen der Krümmung bei (siehe Diatomee links). Während der Bewegung in einer Richtung kann es bei dieser Spezies zu einem Wechsel der Krümmungsrichtung und damit zu einer sigmoiden Bahn kommen. Im Video zeigt die Diatomee links an einer Stelle eine halbe Drehung um die Apikalachse. Bemerkenswert ist bei dieser Bahn der wiederholte Wechsel der Lage des Krümmungsmittelpunktes an den Umkehrpunkten der Bewegung zwischen der dorsalen und ventralen Seite. Dadurch bewegt sich die Diatomee immer mit positiver Krümmung. Die Bewegung wurde im Bild rechts neben dem Video durch die Bildung der Maxima über die Frames und anschließende Entfernung des unbewegten Hintergrunds (mittels Fiji bzw. ImageJ und manueller Korrektur) visualisiert. Die einheitliche Krümmungsrichtung wurde durch Symbole gekennzeichnet.

Es bietet sich an, die Analyse gemäß der Verfahren der Seite Analyse I durchzuführen, um zu prüfen, ob hier ein Zusammenhang zwischen Trajektorie und Ausrichtung der Diatomee existiert. Man muss jedoch bedenken, dass die Voraussetzung einer Raphe nahe der Verbindungslinie zwischen den Apizes nicht mehr exakt erfüllt ist. Deshalb soll das Verhalten anhand einiger herausgegriffener Zeitpunkte illustriert werden. Im animierten Bild sind mit periodischer Wiedergabe mehrere Analyseschritte im Abstand von 5 Sekunden dargestellt. Dabei wurden nur die beiden ersten Bahnabschnitte aus dem Video behandelt:

cymb bewegungen best p

  1. Es wurden die Tracker nahe an den Apizes angebracht und das Video im Zeitraum zweier Bahnabschnitte getrackt. Das erste Bild zeigt das Ergebnis.
  2. Es wurden die Bilder der Diatomee in gleichen Zeitabständen über die Trajektorien gelegt.
  3. Zur Kennzeichnung der Ausrichtung der Diatomee wurden Strecken (rot) durch die Apizes eingezeichnet.
  4. Die Bilder der Diatomee wurden wieder entfernt, so dass der Zusammenhang zwischen der Ausrichtung der Diatomeen und den Trajektorien besser erkennbar wird.

Der erste Bahnabschnitt ist gekennzeichnet durch einen Krümmungsmittelpunkt auf der dorsalen Seite der Cymbella. Man erkennt, dass die Diatomee in guter Näherung tangential zur Bahn des führenden Apex (linke aufsteigende Kurve) liegt. Deshalb ist die Modellvorstellung (siehe Analyse I) zutreffend und der Punkt P liegt im Bereich des führenden Apex. Die Diatomee wird an einem Punkt nahe dem führenden Apex gezogen und man darf vermuten, dass hier ein Zentrum der Kraft liegt. Die numerische Analyse zeigt, dass dieser Punkt sogar ein wenig außerhalb der Position des Trackers liegt, also fast am Apex. Betrachtet man die Diatomee näher, so fällt auf, dass die distalen Raphenenden dorsal gebogen sind. Manche Cymbella zeigen auch hakenförmige Raphenenden. Es liegt nur ein sehr kleiner Bereich der Raphe mit einem dorsalen Krümmungsmittelpunkt vor. Ein Bild der Valve von Cymbella cistula im Abschnitt über sexuelle Fortpflanzung (links in der Bildergalerie) lässt diese Krümmung erkennen. Ähnlich wie bei Pinnularia scheint dieser Bereich der Raphe wesentlich für das Bewegungsverhalten zu sein.

Die Richtung der Aktivität der Raphe kann sich typischerweise ändern. Dennoch konnte bei der Auswertung der Videos keine Bewegung gefunden werden, bei welcher die Cymbella cistula an einem Punkt in der Nähe des Apex geschoben wird. Möglicherweise wechselt bei Umkehr der Bewegungsrichtung der Raphenaktivität der Punkt P sehr schnell seine Lage.

Im zweiten Abschnitt der Bahn ist ein Punkt P mit Hilfe der Visualisierung nur ungenau bestimmbar. Die nahe beieinander liegenden Trajektorien der Apizes deuten auf einen Punkt P nahe den proximalen Enden der Raphen hin. Wegen des geringen Abstands der proximalen Raphenenden kann man ihn keinem der Raphensysteme zuordnen. Es auch könnte sein, dass ein ausgedehnter Bereich der Raphensysteme beteiligt ist. Mit den vorgestellten Methoden ist dies nicht zu entscheiden.

Die für Navicula und andere Gattungen geltende Regel der abwechselnden Vorzeichen der Krümmung ist nicht generell zutreffend, weil der Punkt P zwischen Punkten auf der Raphe wechseln kann, die unterschiedliche Krümmungsrichtungen aufweisen.

 

Schwenkbewegungen und Drehsinn bei dorsalem Krümmungsmittelpunkt

Im Video oben sieht man rechts am Bildrand eine Cymbella cistula, die sich zunächst auf einer kleinen Kreisbahn mit Krümmungsmittelpunkt auf der dorsalen Seite bewegt. Danach führt sie einige Schwenkmanöver aus, bei denen sich das Zentrum der Drehung einmal an einem Ende, dann wieder am anderen Ende der Diatomee befindet. Offenbar kann der Krümmungsradius der Bewegung bei einem apikalen Kraftzentrum sehr verschieden sein. Das mag an einer mehr oder weniger großen Kontaktfläche der Valve auf dem Substrat, vorhandenem Schleim oder der Aktivität anderer Raphenabschnitte liegen, die sich in Kontakt mit dem Substrat befinden.

schwenkbewegung cymbellaIm Extremfall verschwindet der Krümmungsradius nahezu und die Diatomee rotiert horizontal um einen Drehpunkt nahe dem Apex um einen bestimmten Winkel. Das zur dorsalen Seite stark gekrümmte oder abgewinkelte Ende der Raphe verleiht dieser Spezies die Fähigkeit zum Drehen auf der Stelle. Im Bild links ist eine Schwenkbewegung durch einige überlagerte Aufnahmen verdeutlicht.

Da eine schiebende Bewegung, ausgehend von einer Stelle in der Nähe des Apex nicht beobachtet wurde, ist zu erwarten, dass auch die Schwenkbewegung immer so erfolgt, dass sich das bewegliche Ende der Cymbella cistula in ventraler Richtung bewegt (siehe Skizze). Eine Diatomee, die sich entlang eines kleinen Kreises bewegt, besitzt dieselbe Drehrichtung. Meist wird dieser Drehsinn eingehalten, wie man bei Betrachtung der Schwenkbewegungen im Video erkennt. Nach einigen Beobachtungen steht jedoch fest, dass auch eine gelegentliche Umkehr der Rotationsrichtung vorkommt. Sie geht aber nicht in eine Bewegung über, bei der die Diatomee vom distalen Ende des Raphe aus geschoben wird.

Eine naheliegende Frage ist, welchen Einfluss äußere Bedingungen auf die Charakteristika der Bahn haben. Im Zusammenhang mit Phototaxis wurde nachgewiesen, dass die Zeitpunkte der Bewegungsumkehr von den Lichtverhältnissen abhängen. Offen scheint mir zu sein, ob es auch einen Einfluss auf den Wechsel zwischen dorsalem und ventralem Krümmungsmittelpunkt oder den Drehwinkel gibt.