Craticula cuspidata, beobachtet aus vertikaler Blickrichtung in Bezug auf das Substrat (5-facher Zeitraffer)

Craticula cuspidata, beobachtet aus horizontaler Blickrichtung in Bezug auf das Substrat (8-facher Zeitraffer)

 

Craticula cuspidata aus horizontaler Blickrichtung

Das Video links oben zeigt den Anblick einer Kultur von Craticula cuspidata (Fundort Ebnisee 48°55'25.5"N 9°36'32.8"E, Länge ca. 120 µm), wie man ihn vom inversen Mikroskop gewohnt ist. Die Blickrichtung ist senkrecht zum Substrat. Rechts daneben ist eine Diatomee der Spezies Craticula cuspidata in horizontaler Sicht bezüglich des Substrats zu sehen. Die Diatomee wechselt dabei mehrfach die Bewegungsrichtung. Bei längerer Bewegung in einer Richtung richtet sie sich gegen die Horizontale auf, wobei der nachlaufende Apex näher am Substrat liegt. Die Diatomee wird deshalb geschoben. Der mittels des beschriebenen Verfahrens aus der Trajektorie ermittelte Punkt P ist in Übereinstimmung mit dieser direkten Beobachtung.

Wesentlicher ist das Verhalten der Diatomee an den Stellen der Bewegungsumkehr. Da Craticula cuspidata zwei Raphen auf jeder Valve aufweist (siehe Bild links; zum Vergrößern anklicken), könnte man vermuten, dass durch ein Kippen der Diatomee die antreibende Raphe den Kontakt zum Substrat verliert und die andere Raphe in Kontakt mit dem Substrat kommt. Bei entgegengesetzter Richtung ihres Transports von abgegebenem Schleim würde es zur Umkehrung der Bewegungsrichtung kommen.

Die Aufnahmen dieses und mehrerer anderer Videos belegen, dass der Ablauf umgekehrt ist. Zunächst ändert die antreibende Raphe die Transportrichtung, so dass sich die Diatomee in entgegengesetzter Richtung in Bewegung setzt. Danach ändert sich allmählich der Neigungswinkel der Diatomee zum Substrat, bis schließlich wieder der nacheilende Apex nahe am Substrat liegt. Drei Punkte erscheinen mir daran wesentlich:

  • Die Diatomee wird nicht grundsätzlich geschoben, sondern in einem kurzen Zeitfenster nach der Bewegungsumkehr gezogen. Eine statistische Auswertung der Trajektorie, wie sie früher beschrieben wurde, kann das nur schwer enthüllen, denn dafür benötigt man eine ausreichend lange Strecke und Richtungsfluktuationen im Bereich der Richtungsumkehr.
  • Die Diatomee kippt nach der Bewegungsumkehr stets auf die andere Raphe, ohne dass man eine kurz darauf folgende zweite Richtungsumkehr beobachtet. Offensichtlich arbeiten die beiden Raphen synchron in derselben Richtung. Streng genommen kann man mit dieser Beobachtung nur eine Aussage über die Synchronizität kurz nach Richtungswechsel machen.
  • Die Diatomeen ändern nach dem Richtungswechsel systematisch ihren Neigungswinkel. Welcher Mechanismus das bewirkt, ist nicht erkennbar. Eventuell könnte die Wasserströmung (kleine Reynolds-Zahlen) eine Rolle spielen. Interessant wäre es zu erfahren, ob es einen Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit der Diatomee und dem Neigungswinkel gibt. Für wahrscheinlicher halte ich, dass der Antriebsmechanismus in der lokalen Umgebung des Kontakts zu einer Verlagerung des Kontaktpunktes führt.

Bei einigen Diatomeen-Spezies beobachtet man, dass es häufig nach längeren in einer Richtung durchlaufenen Bahnen zu einem schnellen Hin- und Herruckeln kommt bis schließlich wieder ein längerer Bewegungsabschnitt folgt. Eine denkbare Erklärung ist, dass in diesen Fällen die Raphen gegeneinander arbeiten. Wäre etwa nach einer Bewegungsumkehr die Aktivität der anderen Raphe entgegengesetzt, so käme es zu einem erneuten Richtungswechsel, sobald die Diatomee die horizontale Position erreicht hat. Danach würde die Diatomee hin- und herruckeln, bis eine einheitliche Richtung der Aktivität der Raphen vorliegt. Bislang konnte ich diese Situation noch nicht aus horizontaler Blickrichtung beobachten.

 

Anmerkung zu Anforderungen an eine Theorie der Fortbewegung

Eine vollständige Theorie der Fortbewegung muss nicht nur erklären können, wie ein Richtungswechsel auf molekularer Ebene abläuft. Er muss auch erklären, warum einige Diatomeen gezogen und andere geschoben werden, wie die Synchronisation zwischen den Raphensystemen bewerkstelligt wird und wie es zur Verlagerung des Kontaktpunktes bei Richtungsänderung kommt.

Wichtig wäre es, zu sehen, ob bei Navicula der Ablauf analog zu dem bei Craticula cuspidata ist. Hier müsste allerdings nach Richtungsumkehr stets in eine ziehende Lage gewechselt werden, bei welcher der führende Apex näher am Substrat liegt.

Videoaufnahmen einer Spezies der Gattung Rhopalodia zeigen übrigens ein Kippen der Diatomee auf den gegenüberliegenden Apex ohne dass eine Richtungsänderung erfolgt. Bei Craticula cuspidata trat so ein Kippen nicht auf.

 

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