Cymatopleura solea an der Wasseroberfläche
Auf der Wasseroberfläche dicht besiedelter Kulturen treiben gelegentlich lebende Diatomeen, die bei gegenseitigem mechanischem Kontakt eine relative Bewegung zeigen, sich also gegenseitig als Substrat dienen. Überraschenderweise gibt es auch den Fall, dass auf oder nahe der Wasseroberfläche treibende Diatomeen ohne einen solchen Kontakt aktive Bewegung besitzen können. Im Video links sieht man in 4-fachem Zeitraffer Cymatopleura solea mit einer Länge von ungefähr 180 µm, die mit dem relativ zum Beobachter bewegten Wasser treiben. Neben dieser Driftbewegung des Wassers ist eine Eigenbewegung der Diatomeen relativ zum umgebenden Wasser zu erkennen. Das trifft auch auf Diatomeen zu, die nicht in mechanischem Kontakt zu benachbarten Diatomeen stehen. Es stellen sich insbesondere diese Fragen:
- Wie kommen die Diatomeen an die Wasseroberfläche?
- Warum sinken die Diatomeen nicht sofort wieder, sondern bleiben längere Zeit an der Wasseroberfläche?
- Können die Diatomeen an der Wasseroberfläche längere Zeit überleben?
- Wieso können sie sich nahe und auf der Wasseroberfläche bewegen?
- Was ist der Unterschied zwischen der Bewegung auf der Wasseroberfläche und der Bewegung auf dem Substrat?
- Gewinnen Diatomeen einen Vorteil aus der Fähigkeit, an der Wasseroberfläche zu schwimmen und sich dort zu bewegen?
Dieser Beitrag über Cymatopleura solea an der Wasseroberfläche ist sehr spekulativ, denn die meisten dieser Fragen kann ich nicht beantworten. Einige Vermutungen will ich zur Diskussion stellen. Im anschließenden Beitrag zu Nitzschia sigmoidea ist die Situation klarer.
Wie kommen die Diatomeen an die Wasseroberfläche?
Diatomeen haben eine höhere Dichte als Wasser. Sie können deshalb nicht durch Auftrieb an die Wasseroberfläche gelangen. Ein aktives Abheben vom Substrat und gerichtetes Schwimmen durch den Wasserkörper ist nicht möglich.
Ist eine Diatomee nicht mit starken Adhäsionskräften an das Substrat gebunden, reicht bei manchen Arten (z. B. Nitzschia sigmoidea) eine geringfügige Strömung, um sie vom Boden abzulösen. Sie halten sich dann eine gewisse Zeit im Wasserkörper auf (Tychoplankton) und können auch an die Oberfläche befördert werden. Offenbar genügt es dazu manchmal, die Petrischale zum Mikroskop zu tragen. Man kann das erhärten, indem man mit einem Stab das Wasser in der Kultur verwirbelt. Nach dem Abklingen der Strömung sind häufig zusätzliche schwimmende Diatomeen anzutreffen. Bei Cymatopleura solea war der Erfolg des Verfahrens jedoch nicht überzeugend. Nur gelegentlich fanden sich danach einige Diatomeen an der Oberfläche.
Häufig kann man in dicht besiedelten Kulturen Gruppen oder Flocken von Diatomeen beobachten, die durch extrazelluläre polymere Substanzen (EPS) aneinander haften. Gelegentlich sind darin Gasbläschen eingeschlossen, die aus Sauerstoff bestehen dürften. Solche Flocken können ausreichend Auftrieb besitzen, um die Flocke an die Wasseroberfläche zu befördern. Diese Situation ist im Video links (4-facher Zeitraffer) zu sehen, allerdings am Beispiel von Nitzschia spec. Im Fall des Videos der Cymatopleura solea sind weder EPS noch Gasbläschen zu erkennen.
Es stellt sich daher die Frage, ob diese beiden Ansätze ausreichend sind.
Warum sinken die Diatomeen nicht sofort wieder, sondern bleiben längere Zeit an der Wasseroberfläche?
Der Verbleib an der Wasseroberfläche kann sehr unterschiedlich lang dauern. Manche Diatomeen der Spezies Cymatopleura solea sinken relativ schnell wieder auf den Boden, andere findet man noch nach etlichen Tagen an der Oberfläche. Im Fall schwimmender Nitzschia sigmoidea ist ein dauerhaftes Verbleiben an der Oberfläche möglich.
Da Diatomeen ein größeres spezifisches Gewicht als Wasser besitzen, erfordert ein längerer Aufenthalt an der Oberfläche eine Erklärung. Extrazelluläre polymere Substanzen mit Gaseinschlüssen wurden bereits als Möglichkeit für ein Aufsteigen an die Oberfläche genannt. Dies würde auch einen Verbleib erklären. Im Fall des Videos von Cymatopleura solea ist diese Möglichkeit offensichtlich auszuschließen.
Es ist auffallend, dass Diatomeen an der Wasseroberfläche sich häufig aneinander anlagern. Wenn dies durch hydrophobe Eigenschaften verursacht wird, würde das die Schwimmeigenschaften erklären. Bei Nitzschia sigmoidea lässt sich das nachweisen.
Können die Diatomeen längere Zeit an der Wasseroberfläche überleben?
Selbst flach an der Oberfläche treibende Diatomeen der Art Cymatopleura solea scheinen ausreichend von Wasser umgeben zu sein, um mehrere Tage zu überleben. Nach ein paar Tagen ist der Anteil der abgestorbenen Diatomeen jedoch deutlich höher als bei den Diatomeen auf Substrat. Die Wasseroberfläche ist kein Habitat von Cymatopleura solea.
Wieso können sich Diatomeen nahe und auf der Wasseroberfläche bewegen?
Da unsere Kulturen nicht axenisch sind, sieht man bei der Beobachtung der Wasseroberfläche mit DIC oder Phasenkontrast Bakterien. Meist sind es verstreute oder kleine zusammenhängende Kolonien. Mit ihrer geringen Masse im Vergleich zu den Diatomeen und ihrer geringen Größe haben sie auf das Bewegungsverhalten keinen merklichen Einfluss. Wenn diese jedoch eine geschlossene Schicht bilden, könnten sie an der Wasseroberfläche eine Art Substrat bilden. Im Prinzip halte ich das für durchaus möglich, aber nicht im Fall sauberer Kulturen, wie sie das Video von Cymatopleura solea zeigt.
Eine Bewegung innerhalb einer schwimmenden Flocke aus EPS ist möglich, wie man am obigen Video der Nitzschia spec. erkennt. Dies entspricht der diskutierten Bewegung innerhalb eines Biofilms. Im Video scheint Cymatopleura solea ohne diese EPS beweglich zu sein.
Denkbar wäre es ferner, dass die einzelnen Diatomeen an den Valven Klumpen von EPS mit ausreichend großer Masse und Volumen tragen, die sie entlang ihrer Raphen bewegen. Dann würde man allerdings erwarten, dass die Cymatopleura sich nicht problemlos berühren können. Im Video finden sich aktiv bewegende Diatomeen, die gegen andere Diatomeen stoßen. Hinweise auf solche Klumpen sind nicht zu finden. Deshalb scheint mir auch das keine überzeugende Erklärung für die Bewegung zu sein.
Schließlich sollte man erwägen, ob Diatomeen der Art Cymatopleura solea auch ohne Substrat eine ausreichende Wechselwirkung mit Wasser besitzen. Ein Modell, welches dies erklären könnte, ist mir nicht bekannt. Es mag dabei wesentlich sein, dass Cymatopleura solea eine Kanalraphe besitzt.
Was ist der Unterschied zwischen der Bewegung auf der Wasseroberfläche und der Bewegung auf dem Substrat?
Bei Bewegung am Boden existiert ein für den Beobachter feststehendes Substrat. Außer bei Rangierbewegungen, die durch Klumpen von EPS verursacht werden, existiert ein Kontakt der Raphe mit dem Substrat. Dies gibt der Diatomee eine mechanische Randbedingung und damit eine Reduzierung der Freiheitsgrade. Zudem erfolgt die Bewegung in der Regel entlang der Ausrichtung der Raphe.
Diese äußeren Kräfte, welche die Bewegung einschränken, existieren bei einzeln schwimmenden Diatomeen nicht. Sie zeigen Drehbewegungen in alle Raumrichtungen und kurzes Rangieren. Längere gerade Bahnen kommen anscheinend nicht vor. Das spricht im Prinzip für die Modellvorstellung eines Transports von EPS-Klumpen entlang der Raphe.
Gewinnen Diatomeen einen Vorteil aus der Fähigkeit, an der Wasseroberfläche zu schwimmen und sich dort zu bewegen?
Ich bezweifle das und halte das Driften an der Wasseroberfläche für einen Artefakt. Denkbar wäre allenfalls eine Verbreitung der Art durch Verdriften (Hydrochorie). Ohne Hinweise auf das Vorkommen des Phänomens in der Natur ist das reine Spekulation.
Aufenthaltsorte der Diatomeen in Kulturen
Im Zusammenblick mit der vorhergehenden Seite möchte ich die Orte zusammenfassen, an denen in unseren Kulturen Diatomeen leben.
Diatomeen im Wasserkörper kann man in kleinen Kulturgefäßen nur kurzzeitig beobachten, nachdem man das Wasser aufgewirbelt hat. Bei der geringen Höhe der Petrischalen erfolgt rasch eine Sedimentation. Gelegentlich bleiben aufgewirbelte Diatomeen für lange Zeit an der Wasseroberfläche haften. Falls Diatomeen ausreichend dicke Biofilme bilden, so kann eine Unterscheidung zwischen Diatomeen innerhalb oder auf dem Biofilm getroffen werden.