Cymbella-Kultur mit Kolonien (660-facher Zeitraffer) Cymbella-Kolonien (1800-facher Zeitraffer)

 

Cymbella-Kolonien auf Gallert-Stielen

 

Im Beitrag über geschlechtliche Fortpflanzung wurde eine Cymbella-Spezies (vermutlich Cymbella cistula) vorgestellt, die auf Gallertstielen siedelt. Ihre Längen lagen im Bereich von 54 µm bis 120 µm. Bei den nachfolgend beschriebenen Beobachtungen betrug ihre Länge ca. 110 µm. Diese Diatomeen setzen sich am Substrat fest, bilden einen Stiel aus und teilen sich anschließend. In der Natur sind solche Kolonien an Wasserpflanzen oder Steine angeheftet. Das verschafft ihnen in Fließgewässern einen Vorteil. Man findet sie aber auch in Teichen und Seen.

Bildung von Kolonien

Das mit PlasDIC aufgenommene Zeitraffer-Video oben links zeigt eine zwei Wochen alte Kultur. Man erkennt gut die Gallertstiele, darunter viele, die von den Diatomeen verlassen wurden. Die freien Diatomeen bewegen sich zwischen den Gallertgebilden, bis sie sich festsetzen und ihren eigenen Stiel generieren.

Im Video oben rechts ist eine noch junge Kultur im Phasenkontrast zu sehen. Es ist mit einem Zeitrafferfaktor von 1800 aufgenommen. Die Beobachtungszeit betrug 13,6 Stunden. Man erkennt rechts zwei Diatomeen an einem Stiel, die sich beide nahezu geteilt haben und nun kurz vor der Trennung stehen. Diese Teilungen erfolgen gleichzeitig. Anschließend lösen sich nacheinander Diatomeen vom Gallertstiel ab. Gegen Ende des Videos erfolgt am gleichen Gallertstiel eine weitere Teilung, die man wegen der Transparenz der Diatomeen erkennt.

Im unteren Bildbereich sieht man, wie sich eine Diatomee festsetzt, ein Pad aus EPS ausscheidet und innerhalb von etwa drei Stunden einen Stiel auf dieser Basis entwickelt. Ein solcher Stiel wächst nur über einige Stunden. Vermutlich verwendet die Diatomee nach der Bildung des Stiels ihre Energie primär zur Teilung.
Liegen die Diatomeen auf dem Substrat auf, kommt es sehr leicht zur Ablösung vom Gallertstiel. Eine aktive Raphe kann Kraft auf die Verbindung mit dem Gallertstiel ausüben oder andere Diatomeen können dagegen stoßen. Im Video erkennt man, wie Diatomeen kurz nach der Teilung vom Gallertstiel abbrechen. Nachfolgend sind zwei Szenen aus dem obigen Video zu sehen, jedoch mit Zeitrafferfaktor von 125:

In einem Fall hat eine Diatomee nachgeholfen, die in Gürtelbandlage auf der Dorsalseite liegt. Im anderen Fall wurde die Diatomee möglicherweise durch die anderen anstoßenden Diatomeen bereits gelockert. Damit ist zu erwarten, dass es bei älteren Kulturen mit hoher Populationsdichte leicht zur Zerstörung der Struktur durch frei bewegliche Diatomeen kommt.

An einigen Kulturen konnte ich beobachten, dass nach einer Zellteilung häufig eine Diatomee vom Gallertstiel abfällt, während die andere lange verbleibt. Ich vermute, dass die größere Zelle, durch deren apikale Poren das EPS für den Gallertstiel abgesondert wurde, mit diesem fester verbunden ist.

Form der Kolonien und Ausbreitung

Aus mir nicht bekannter Ursache können sich Kulturen sehr unterschiedlich entwickeln. Wie man an den Beispielen sieht, gibt es Kulturen, in denen nach der Teilung eine Diatomee schnell abbricht und sich entfernt. Verzweigte Kolonien entstehen dann nicht. In anderen Kulturen bleiben die Diatomeen im Mittel längere Zeit am Gallertstiel, bilden eigene Stiele aus und teilen sich. So entsteht ein baumartiges Gebilde. Nachfolgend ist links ein Beispiel solcher Kolonien im Phasenkontrast (erzeugt aus einem Bilderstapel mit Fotos zu verschiedenen Fokusebenen) zu sehen. In der Mitte findet sich ein Beispiel einer Kolonie im DIC (wieder aus Bilderstapel erzeugt), die keine Verzweigungen besitzt. Rechts sieht man eine Kolonie, wie sie in dem berühmten Buch "A History of Infusoria, including the Desmidiaceae and Diatomaceae" von Andrew Pritchards aus dem Jahre 1861 gezeichnet wurde.

(Alle Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern.) Manchmal bilden sich lange Stiele aus, an deren Ende sich oft nur eine Diatomee befindet, wie dies im Bild links unten und Mitte unten (beide Phasenkontrast) zu sehen ist. Recht häufig trifft man auf unregelmäßige verzweigte Strukturen, die rechts unten in PlasDIC abgebildet sind.

(Alle Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern.) Links unten ist ein Video einer Kultur aus kleinen Diatomeen und einigen Erstlingszellen gezeigt (60-facher Zeitraffer, PlasDIC), in dem sich keine Kolonien ausgebildet haben, denn die Diatomeen trennten sich offenbar schnell von den Stielen.

Für die unterschiedliche Entwicklung kommen in der freien Natur verschiedene Umweltbedingungen in Betracht. In unseren Kulturen sind jedoch Nährlösung, Temperatur etc. nahezu identisch. Unterschiede gibt es bezüglich der Lichtintensität. Vermutlich spielt diese für die Stabilität der baumartigen Strukturen eine Rolle, da sie die Aktivität der Raphen wesentlich beeinflusst. Die größten Strukturen bildeten sich übrigens bei meinen Kulturen in den ersten Generationen nach der geschlechtlichen Fortpflanzung. Das schnelle Verlassen der Gallertstiele, könnte bei Diatomeen, die nahe ihrer minimalen Größe sind, der Suche nach einem Sexualpartner dienen.

Da Diatomeen immer wieder vom Bäumchen abbrechen, sind diese Diatomeen zumindest zeitweise freilebend. Die Diatomeen entfernen sich zumindest in Kulturen nicht weit von ihrem Ursprungsort, bevor sie sich festsetzen. Auf dem glatten Substrat beschreiben die Diatomeen nahezu Kreisbahnen. Das Zurücklegen größerer Entfernungen wird durch dieses Artefakt in Kulturen erschwert. Dennoch ermöglichen frei bewegliche Diatomeen auch in Kulturen im Grundsatz eine räumliche Ausbreitung.

 

Struktur der Gallertstiele

Bei der Bildung eines Stiels wird durch apikale Poren in den Valven eine dicke gelatineartige Substanz (EPS) abgesondert. Wenn man mit PlasDIC die Gallertstiele betrachtet, so findet man Oberflächenstrukturen, die parallel zur Richtung des Gallertstiels verlaufen. Das Bild links unten entstand durch Überlagerung mehrerer Bilder (Stacking) und nachträglicher Schärfung des Bildes (zum Vergrößern anklicken). Im Phasenkontrast erkennt man dies ansatzweise in einigen Bildern, wie in der oben gezeigten verzweigten kleinen Kolonie.

Dieser dicke Strang wird nicht durch eine einzelne Pore, sondern durch ein apikales Porenfeld gepresst (HUFFORD, T. L., COLLINS, G. B., 1972). Die Durchmesser der Poren und der Abstand benachbarter Poren liegen weit unter der Auflösung eines Lichtmikroskops. Die Strukturen könnten die Begrenzung des Porenfeldes charakterisieren, welches zur EPS-Produktion beiträgt. Ähnliche Strukturen im Stiel kann man etwa auch bei der Gattung Gomphonema finden.

Auffällig sind ferner knotenförmige Verdickungen, die in längeren Gallertstielen immer wieder auftreten. Sie entstehen offenbar, wenn nach einer Pause die Bildung eines neuen Abschnittes beginnt und ein neues Pad gebildet wird. Dies ist im Bild rechts (Phasenkontrast) zu erkennen (zum Vergrößern anklicken).

 

Pritchard, A. (1861) A history of Infusoria, including the Desmidiaceae and Diatomaceae, Biritsh and foreign. Whittaker and Co., London, 968 pp.

HUFFORD, T. L., COLLINS, G. B., 1972: The stalk of the diatom Cymbella cistula: SEM observations. J. Phycol. 8, 208-210.