Flache Kolonien und lose gebundene Kolonien
Im vorhergehenden Beitrag wurde über Kolonien-bildende Cymbella berichtet, die auf Gallertstielen siedeln. Andere Cymbella-Arten bilden keine Stiele. Die Diatomeen haften mit Hilfe einer dicken gelatinösen Substanz an einem Ende direkt am Substrat. Die an apikalen Poren ausgeschiedenen EPS bewirken eine große Adhäsion. Wie auf dieser Seite gezeigt wird, führt dies dazu, dass sich lokale Ansammlungen bilden können, die eine begrenzte Stabilität aufweisen und nachfolgend etwas vereinfachend als Kolonien bezeichnet werden.
Zunächst wird über Cymbella lanceolata (Ehr.) berichtet, die ca. 190 µm lang ist. Ihre Valve ist links abgebildet (zum Vergrößern anklicken). Ein kurzes Video mit der Bewegung wurde auf einer Seite zur Bahnkrümmung gezeigt (Krümmungsmittelpunkt liegt bei dieser Spezies stets auf der ventralen Seite).
Die klebenden EPS-Ausscheidungen sind gut im Phasenkontrast oder DIC erkennbar. Unten sind zwei Bilder (zum Vergrößern anklicken) vom Boden der Petrischale zu sehen, die mit PlasDIC aufgenommen wurden. Im rechten Bild haften die Diatomeen an einer Faser, die in der Nährlösung vorhanden war. Offenbar gibt es eine Präferenz zur Anlagerung an solche feine Strukturen.
Unter meinen Cymbella-Kulturen gab es verschiedene Spezies, die solche unregelmäßigen EPS-Ausscheidungen bildeten.
Prozesse
Bei längerer Beobachtung solcher Ansammlungen erkennt man diese Vorgänge:
- Diatomeen lösen sich aus einer Kolonie. Dies geschieht typisch am Randbereich der Kolonie.
- Diatomeen bewegen sich im Raum zwischen den Kolonien.
- Diatomeen treffen auf eine bestehende Kolonie und verbleiben in dieser Gruppe.
- Diatomeen beenden ihre Bewegung und heften sich am Substrat an.
- Diatomeen vermehren sich ungeschlechtlich innerhalb wie außerhalb von Kolonien.
Der Zusammenstoß zwischen einzelnen Diatomeen und das Berühren von Kolonien ohne einen längeren Verbleib sind hier nicht aufgeführt, da sie transient und für die Strukturbildung nicht von großer Bedeutung sind.
Diatomeen, die sich an Kolonien anlagern, bleiben meist im Randbereich der Kolonie. Da sie selbst EPS absondern, vergrößert sich laufend die von EPS-Abscheidungen gebildete Fläche.
Wenn einzelne Diatomeen zum Stillstand kommen, so kann auch vorhandenes EPS aus früheren Anhaftungen die Ursache sein. Auf diesen nicht unmittelbar ersichtlichen Effekt wird später eingegangen.
Die Ereignisse 1,2 und 3 ermöglichen keine Bildung von neuen Kolonien. Aus einzelnen anhaftenden Diatomeen gemäß 4. kann durch nachfolgende Zellteilungen und Anlagerung von Diatomeen eine Kolonie entstehen.
Im Zeitraffer-Video links (20-facher Zeitraffer) kann man exemplarisch Ablösung und Anschluss von Diatomeen an eine Kolonie sehen.
Diesen Wechsel zwischen Kolonien konnte ich bei Cymbella an Gallertstielen nur ganz selten beobachten. Zwar kann auch hier eine Diatomee an eine Kolonie stoßen und dort zur Ruhe kommen, aber sie bleibt immer außerhalb von bestehenden Gallertbäumchen.
Einfluss der Lichtintensität
Die Bewegungsaktivität von Diatomeen erfordert ausreichend Lichtintensität. Bei steigender Intensität werden die Raphen bei den beobachteten Cymbella aktiv, unabhängig davon, ob sie sich frei bewegen oder in einer Kolonie befinden. Das führt dazu, dass sich in hellem Licht immer mehr Diatomeen von der Kolonie ablösen.
Die Antriebskraft übersteigt dann die durch EPS erzeugte Adhäsion an das Substrat. Im Video links (600-facher Zeitraffer) wurde eine Kultur mittels der Mikroskop-Beleuchtung mit einigen tausend Lux bestrahlt. Man erkennt eine weitgehende Auflösung zweier kleiner Ansammlungen.
Die Ablösung von Diatomeen aus einer Kolonie und die Wanderung erfordern ausreichende Lichtintensität. Hingegen nimmt die Aktivität der Bewegung ab, wenn die Helligkeit gering wird. Treffen Diatomeen bei geringer Helligkeit auf bestehende Kolonien oder am Substrat befindliche Ablagerung von EPS, so haften sie dort fest, weil sie die Adhäsion der Polysaccharide nicht überwinden können (Prozess 3).
Bei sehr geringer Lichtintensität oder Dunkelheit kommt auch die freie Bewegung zwischen den Ansammlungen der Diatomeen zur Ruhe. Die Diatomeen sondern dann ein EPS-Pad ab, mit dessen Hilfe sie am Substrat haften. Wie später ausgeführt wird, können auch von Diatomeen verlassene EPS-Abscheidungen zum Anheften frei beweglicher Diatomeen führen.
Tag-Nacht-Zyklus
Im letzten Video wurde demonstriert, wie eine sehr intensive Beleuchtung dazu führen kann, dass sich bestehende Cymbella-Ansammlungen nahezu auflösen. Bei geringeren Lichtintensitäten, wie wir sie für die Kultivierung verwenden, ist der Effekt nicht so dramatisch, aber doch deutlich zu erkennen. Man kann erwarten, dass sich dies auch bei einem normalen Tag-Nacht-Rhythmus in einem Gewässer so abspielt.
Ein beispielhaftes Zeitraffer-Video, das mit einem Zeitraffer-Faktor von 6000 über einen Tag-Nacht-Zyklus aufgenommen wurde, ist links zu sehen.
Die Aufnahme wurde mit einem Makroskop erstellt (Objektiv mit 50 mm Brennweite). Die beobachtete Kultur befindet sich ohne Zusatzbeleuchtung zwischen anderen Kulturen. Damit in der Dunkelphase Aufnahmen möglich sind, wurde die Kultur mit geringer Intensität von unten durch eine Mattscheibe mit einer weißen LED beleuchtet. In der Hellphase herrschten ungefähr 200 Lux (Auflicht), in der Dunkelphase (Durchlicht) 15 Lux. Vermutlich kommt wegen dieser restlichen Helligkeit die Bewegung nie gänzlich zur Ruhe.
Entwicklung einer Kultur
Es soll nachfolgend die längste Beobachtung an einer sehr ähnlich aussehenden Spezis näher vorgestellt werden, die jedoch nur gut 100 µm lang war. Die Beobachtung erstreckte sich über 24 Tage, wobei alle 10 Sekunden ein Bild aufgenommen wurde. Für die meisten Auswertungen ist ein so kurzer zeitlicher Abstand nicht erforderlich. Im Zusammenhang mit der Bewertung der Aktivität der Diatomeen, die sich zwischen den Kolonien bewegen, ist er jedoch von Nutzen.
Auch bei dieser Beobachtung herrschten in der Hellphase etwa 200 Lux, in der Dunkelphase 15 Lux. Daneben gab es durch ein Fenster schwankenden Lichteinfall. Die Hellphase dauerte 12,5 Stunden. Der in den Bildern sichtbare Bereich beträgt 8,27 mm x 6,21 mm. Da sich die Kultur in einer Petrischale mit 50 mm Durchmesser befand, wurden nur etwa 2,6 % der kultivierten Fläche beobachtet.
Gerade in den ersten Tagen nach der Beimpfung schwankt die relative Anzahl der Diatomeen im Beobachtungsbereich stark, da sich das Verlassen und das Eintreten von einzelnen Diatomeen deutlich auswirken. Mit zunehmender Anzahl von beweglichen Diatomeen und der Bildung von Kolonien, die etwa nach 5 Tagen einsetzte, verringerten sich die relativen Schwankungen.
Das Video links zeigt eine Bilderfolge der Kultur, bei der diese im Tagesabstand ab dem dritten Tag aufgenommen wurde. Der Stand bei Beendigung der Beobachtung wird absichtlich länger angezeigt. Die Bilder wurden dabei in Grauwertbilder umgewandelt und die Helligkeitsunterschiede in Folge schwankenden Lichteinfalls korrigiert. Die Bilder entstanden um 20 Uhr, kurz vor der Dunkelphase. Bei dieser Spezies und einer Lichtintensität von nur 200 Lux in der Hellphase nahm die Aktivität der Diatomeen zwischen den Kolonien bereits deutlich vor Beginn der Dunkelphase stark ab. Deshalb sind nur wenige Diatomeen außerhalb der Kolonien zu finden.
Ein Video mit guter zeitlicher Auflösung und geringer Kompression kann leider wegen seiner Größe hier nicht wiedergegeben werden. Das anschließende Video wurde mit 40.000-fachem Zeitraffer und hoher Kompression erzeugt.
Bildung von Kolonien
Eine neue Kolonie kann entstehen, wenn sich eine einzelne Diatomee am Substrat anheftet. Sie erzeugt einen klebenden Bereich, an dem andere Diatomeen hängen bleiben können. Zudem wächst eine Kolonie typisch durch ungeschlechtliche Vermehrung. Wie bereits erwähnt wurde, hinterlassen Diatomeen, die sich am Substrat angeheftet haben, schwer lösliche EPS, welche erneut Diatomeen binden können. Man kann dies erkennen, wenn man die Entwicklung einer Kolonie verfolgt, wobei man mit der Beobachtung beginnt, bevor sich eine stabile Kolonie etabliert hat. Meist gibt es einen kleinen Bereich, in dem sich wiederholt Diatomeen anheften und lösen.
Das Video links zeigt in Detailvergrößerung die Bildung einer Kolonie. Man beachte insbesondere das Geschehen innerhalb des weißen Kreises. Wiederholt heften sich Diatomeen an, teilen sich oder verlassen bei hellem Licht den Bereich. Diatomeen, die auf die bereits einmal besiedelten Flächen geraten, haften dort bevorzugt. Nach einigen Tagen ist die Population so stark, dass sich eine dauerhafte Kolonie bildet.
Nicht jede verlassene EPS-Ablagerung wird wieder zu Anhaftungen genutzt. Trifft über mehrere Tage keine Diatomee auf den Fleck, so verringert sich seine Adhäsionskraft. Ob er sich auflöst oder bakteriell abgebaut wird, ist mir nicht bekannt. Übrigens kann man in einigen Fällen EPS in der Dunkelphase als grauen Fleck erkennen.
Natürlicher Lebensraum
Die geschilderten Beobachtungen wurden in einer Petrischale durchgeführt. Die Diatomeen bilden ihre Kolonien hier zwangsläufig in einer Ebene. Vermutlich können sich unter günstigen Umständen flache Kolonien auch in einem natürlichen Habitat wie einer Blattoberfläche oder einem Stein entwickeln. In einem dreidimensionalen faserigen Geflecht hingegen müssten eher haufenförmige oder kugelige Ansammlungen entstehen. Diatomeen, die aus dichten Populationen entweichen, sind gezwungen, sich entlang dünner Filamente zu bewegen. Es stellt
sich die Frage, ob Fortbewegung und Austausch von Diatomeen zwischen Kolonien bei einem solchen epiphytischen Aufwuchs möglich ist.
In einer Rohkultur mit allerlei Fasern entwickelte sich zufälligerweise eine solche Ansammlung. Da sie sich inmitten eines tieferen Geflechts befand, gestaltete sich die Aufnahme schwierig. Auch die Unruhe der Wasseroberfläche erschwerte die Aufnahme. Links sieht man die Kolonie mit einigen in der näheren Umgebung befindlichen Diatomeen, die sich mehr oder weniger „geschickt“ bewegen. In dem Geflecht befanden sich mehrere Kolonien, allerdings in einem so großen Abstand voneinander, dass ein Austausch von Diatomeen in diesem Fall unwahrscheinlich erschien.